Zu-Fall

Die erste Weißheit dieser Webseite widme ich einem der deutschen Wörter, deren Bedeutung sich ins Gegenteil ihrer ursprünglichen verwandelte und die dadurch ihrer innewohnenden Weisheit verlustig gingen.

Das seit mittelhochdeutscher Zeit (1050-1350) bezeugte Wort zuoval ist eine Substantivierung des Verbs zuovallen, das damals »das, was jemandem zufällt, zuteilwird, zustößt« hieß. Im 14. Jahrhundert brachte man dieses Zufallende mit der philosophischen Substanz als dem unveränderlichen Wesen einer Sache und dem philosophischen Akzidens, dem nicht notwendig einem Gegenstand Zukommenden, unselbstständig Seienden, äußerlich Hinzukommenden in Verbindung.

Daraus entwickelte sich die heutige Bedeutung »etwas, was nicht vorauszusehen war, was unerwartet geschieht«. Und man sehe und staune, welche Synonyme der Duden zu »Zufall« angibt: Gelegenheit, Glücksfall, Glückssache, Glücksumstand, günstige Fügung des Schicksals, günstige Umstände. Genau darum ging und geht es, wenn von Zufall die Rede ist: um eine Chance, also eine günstige Gelegenheit, um eine glückliche Fügung des Schicksals, die uns zuteilwird.

Doch was verstehen zwischenzeitlich die meisten unter Zufall? Dessen vermeintliche Blindheit, sprich eine Laune der Natur, ein unmotiviertes oder gar sinnloses, jedenfalls kein bewusstes, gezieltes, absichtsvolles Geschehen. Nach diesem Verständnis geschieht ein Ereignis, das keine Ursache erkennen lässt, dem der kausale Zusammenhang fehlt. Vermutlich hat schon so gut wie jeder von uns die Äußerung »Ein dummer/unglücklicher Zufall« vernommen oder von sich gegeben.

Wer anerkennt, dass der Duden das Expertenwissen der deutschen Sprache schlechthin repräsentiert und dass die wörtlichen Wortbedeutungen reine Weisheit in sich bergen, lasse sich inspirieren, das Wort »Zufall« nurmehr als eine glückliche Fügung zu begreifen. Der Bedeutungswandel der Vokabel »Zufall« von einem ausschließlich glücklichen zu einem teils ungewollten Ereignis ist insbesondere auf das im Spätmittelhochdeutschen aufkommenden Adjektiv »zufällig« (zuovellic) zurückzuführen, das wiederum nicht wörtlich als überfällig (zu fällig) gedeutet, sondern mit blind, ungewollt, versehentlich, willkürlich assoziiert wird.

Dessen typische Redewendungen sind: „eine zufällige Begegnung/Bekanntschaft, Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig, jemanden zufällig treffen/sehen. All diese Dinge geschehen – anders als man es heutzutage interpretiert – weil sie gewissermaßen fällig sind. Doch wer oder was bewirkt, dass uns Chancen, also glückbringende Ereignisse, gleichsam aus heiterem Himmel zufallen? Auch hier liegt die Ant ̴ wort im Wort.

Ein Leitprinzip der Weisheitslehre beruht auf der Annahme, dass alles (s)einen Sinn hat. Demnach liegt gerade auch jedem Zufall ein sinnvolles Motiv zugrunde. Meine Ansicht zum Thema »Sinn« werde ich in einer der nächsten Weißheiten darlegen.